Ein Schlüssel zur Steigerung des Anteils der erneuerbaren Energien im Wärmesektor sind Wärmenetze. Dabei liegt der Schwerpunkt sowohl auf neuen effizienten Wärmenetzen als auch auf der Transformation von bestehenden Netzen. Wärmenetze sind individuell gewachsene Systeme, welche sich in der Detailausführung oft stark unterscheiden. Für eine flächendeckende Transformation der Wärmenetze ist es jedoch entscheidend, dass übertragbare Konzepte und Methoden entwickelt werden, dazu müssen Wärmenetze kategorisiert und charakterisiert werden. Häufig findet eine Einordnung anhand der vorherrschenden Temperaturen im Wärmenetz und möglicher Erzeugungskapazitäten statt (siehe auch unseren 9. Newsletter). In dem Paper, welches wir diesen Monat gerne vorstellen möchten, haben die Autoren eine Kategorisierung von existierenden Fernwärmesystemen anhand der tatsächlichen Energieversorgungssysteme vorgenommen. Die Autoren bilden insgesamt acht unterschiedliche Cluster von Fernwärmesystemen. Diese Klassifizierung hilft nicht nur zur Entwicklung nationaler Transformationsstrategien für die Energie- und Wärmewende, sondern kann auch genutzt werden, um technische Lösungen auf andere Systeme zu skalieren.
Die Arbeit Landscape of district heating systems in Germany - Status quo and categorization von Triebs, Papadis, Cramer und Tsatsaronis vom Institut für Energietechnik und Umweltschutz der Technischen Universität Berlin geschrieben. Die Autoren haben insgesamt Daten aus 141 Wärmenetzsystemen aus deutschen Städten mit mindestens 100.000 Einwohnern und einem größeren Anteil der Wärmeversorgung über Wärmenetze gesammelt. Der Fokus der Datensammlung lag auf den Wärmeversorgungssystemen der Wärmenetze. Eine große Herausforderung war dabei die Datenverfügbarkeit. Im Gegensatz zum elektrischen Sektor sind Wärmenetze nicht liberalisiert. Wärmenetze sind unabhängige Systeme, welche von individuellen Unternehmen (z. B. Stadtwerke) betrieben werden. Um einen vollständigen Datensatz zu generieren haben sich die Autoren unterschiedlicher Quellen bedient (z. B. Umweltbundesamt, Bundesnetzagentur, Studien und Statistiken der AGFW, einzelnen Versorgern/Unternehmen, sowie weiteren Quellen). Aus den 141 Wärmenetzsystemen wurden 82 Systeme, welche jeweils eine thermische Netto-Kapazität von mehr als 50 MW aufweisen (thermisch), ausgewählt und klassifiziert.
Die Autoren nutzen zur Klassifizierung vier KPIs, welche die Systeme anhand des eingesetzten Brennstoffes, der Speichergröße, der Stromkennzahl (bei Kraft-Wärme-Kopplung) sowie der installierten Leistung klassifizieren. Es fällt auf, dass für große Fernwärmesysteme fossile Energien dominant sind. Erdgas, Stein- und Braunkohle dominieren sowohl bei der installierten Leistung als auch in der Nutzung (ungefähr 80 % des Brennstoffeinsatzes in den untersuchten Systemen). Speichersysteme werden sind insbesondere eingesetzt, wenn das System auf gasbetriebene KWK Lösungen setzt, der Anteil von Power-To-Heat (Elektrokessel als auch Wärmepumpe) steigt in dieser Kategorie ebenfalls an. Die Stromkennzahl ist für kohlebetriebene um ein Vielfaches höher als für primär gasbetriebene Kraft-Wärme-Kopplung. Hierbei handelt es sich um Großkraftwerke (z. B. Braunkohle) mit Fernwärmeauskopplung. Nahezu alle Systeme werden durch große Kapazitäten von (meistens gasbetriebenen) Spitzenlastkesseln ergänzt. Die Studie zeigt den großen Bedarf an Transformation der Wärmenetze, um 2045 auf fossile Brennstoffe in der Wärmeerzeugung zu verzichten und ist in unseren Augen daher ein wichtiger Beitrag. Im Folgenden möchten wir noch detaillierter auf die Methodik und die Ergebnisse der Autoren eingehen.
Um später Kategorien und Klassifizierungen von Wärmenetzsystemen vorzunehmen, müssen zuerst die verwendeten Technologien festgelegt und näher beschrieben werden. Die Autoren beschreiben dazu sieben unterschiedliche Kategorien (KWK, Heizkessel, Power-To-Heat, Solarthermie, Abwärme und Müllverbrennung und Speicher).
Eine wichtige Technologie zur Bereitstellung von Wärme in Wärmenetzen ist die Kraft-Wärme-Kopplung. Aufgrund der ausgewählten Größe der installierten Kapazität (mindestens 50 MW), berücksichtigen die Autoren hierbei nur Großkraftwerke mit einem Dampfprozess. Dafür betonen die Autoren sei es wichtig, zwischen Gegendruckturbinen und Extraktionskondensationsturbinen zu unterscheiden. Als Spitzenlastsystem werden Heizkessel in nahezu allen Wärmenetzen verwendet. Unter dem Begriff Power-To-Heat fassen die Autoren sowohl direkte elektrische Heizungen als auch Wärmepumpen zusammen. Während direkte elektrische Heizungen primär für Spitzenlasten und als Regelleistung für das elektrische Netz genutzt werden können, sollen Wärmepumpen durch ihre Effizienz länger betrieben werden. Zur Berücksichtigung von solarthermischen Anlagen, weisen die Autoren darauf hin, dass zwischen zwei Technologien (Flachkollektor und Vakuumröhrenkollektor) unterschieden werden sollte, da sie unterschiedliche Temperaturen zur Verfügung stellen können. Trieb et al. beschreiben als weitere wichtige Technologie Abwärme und Müllverbrennung. Abwärme kann dabei sowohl aus industriellen Prozessen als auch aus gekoppelten Wärmenetze bereitgestellt werden. Thermische Speicher werden anhand ihrer Bauweise (atmosphärisch, druckbehaftet, 2-Zonen) und der daraus resultierenden Speicherdichte charakterisiert.
Nachdem die eingesetzten Technologien beschrieben wurden, legen die Autoren vier Kennzahlen fest, anhand derer sie die Wärmenetze klassifizieren möchten.
Die erste Kennzahl setzt die installierte Leistung der einzelnen Erzeuger ins Verhältnis zur gesamt installierten Kapazität. Dabei fallen bereits ohne Klassifizierung einige Trends auf. Die Kapazität der Heizkessel ist im Durchschnitt am größten. Heizkessel werden zur Spitzenlastabdeckung genutzt. Dadurch ist die Kapazität dieser Systeme oft sehr hoch, wohingegen der Anteil an der Wärmeversorgung im Schnitt nur 10,5 % (2015-2020) betrug. Danach dominieren KWK Anlagen (beider Bauarten) und Müllverbrennung das Erzeugungsportfolio der Wärmenetze. Power-to-Heat Technologie werden im Schnitt mit 5 % der gesamten Kapazität berücksichtigt. Solarthermie nimmt nur einen verschwindend geringen Anteil an der gesamten Erzeugungskapazität ein.
Die zweite Kennzahl beschreibt die maximal mögliche Zeit, in denen die Speicher die KWK Anlagen ersetzen können. In den untersuchten Fernwärmesystemen werden kaum Langzeit oder gar saisonale Speicher eingesetzt. Insgesamt 47 Systeme weisen einen Speicher auf, wobei 44 davon eine maximale Speicherzeit von unter 12 Stunden aufweisen.
Um die Kapazität der KWK anlagen näher zu beschreiben wurde die Stromkennzahl (Verhältnis zwischen installierter elektrischer und thermischer Leistung) als weitere Kennzahl aufgenommen. Diese Kennzahl beschreibt insbesondere das Potenzial zur Sektorenkopplung mit dem Stromnetz.
Die letzte und vierte Kennzahl beschreibt den Brennstoffeinsatz in den KWK Anlagen. Der Brennstoffeinsatz der Heizkessel wird somit nicht weiter untersucht. Die Autoren geben jedoch an, dass in Heizkesseln meistens Erdgas, Erdöl, seltener Steinkohle und Biomasse verwendet werden.
Die Kennzahlen werden für alle untersuchten Wärmenetzsysteme berechnet und mittels eines speziellen Clustering-Algorithmus sortiert. Das Ergebnis sind acht unterschiedliche Kategorien für Fernwärmesysteme in Deutschland. Hierbei ist zu beachten, dass nur solche Systeme berücksichtigt wurden, die mindestens eine installierte Leistung von 50 MW (thermisch) oder mehr aufweisen.
Die Autoren haben mit ihrer Arbeit die Datenqualität und Datenverfügbarkeit von großen Fernwärmesystemen verbessert. Damit verbessern sie Aussagen zu grundsätzlichen Trends und nationalen Transformationsstrategien für große Fernwärmesysteme. Dies fördert auch die Übertragbarkeit von konkreten technischen Lösungen, mit denen wir uns bei der Transformation der Fernwärmenetze beschäftigen.
Der Artikel von Triebs et al. ist unter https://doi.org/10.1016/j.ecmx.2020.100068 frei verfügbar und umfasst neben den hier vorgestellten Ergebnissen vor allem die grafischen Darstellungen der Cluster-Analysen.
Die nächste Ausgabe unseres Newsletters wird am 01. Dezember 2021 erscheinen.
© heatbeat engineering GmbH & heatbeat nrw GmbH 2017-