der Innovationsgedanke ist nicht nur ein wichtiger Antrieb für unsere Arbeit bei heatbeat, sondern auch die Hauptmotivation für unseren Newsletter. Damit möchten wir einen Beitrag leisten, um innovative Ideen aus der Forschung in die Praxis zu bringen. Die meisten Ausgaben beleuchten dabei ein spezielles Thema aus dem Themengebiet Fernwärme. In dieser Ausgabe können wir den Schwerpunkt aber auf eine systematische Analyse von Innovation im Fernwärmesektor allgemein legen. Dazu stellen wir die Ergebnisse des Review Papers Is Innovation Redesigning District Heating? A Systematic Literature Review von Håkan Knutsson et al. von der Halmstad University in Schweden vor.
Für diese Studie wurden rund 900 Forschungsarbeiten zum Thema Fernwärme berücksichtigt, die im Zeitraum zwischen den Jahren 2000 und 2020 veröffentlicht wurden. Dabei analysiert das Paper, inwieweit die untersuchten Arbeiten sich explizit mit dem Thema Innovation im Fernweärmesektor beschäftigen. Als Schlussfolgerung bescheinigt das Paper dem Fernwärmesektor keinen hohen Innovationsgrad. Trotzdem wird betont, dass der martkwirtschaftliche Wettbewerb einen langfristigen Prozess hin zu niedrigeren Netztemperaturen angestoßen hat. In diesem Zusammenhang hat das Paper wichtige Innovationstrends in der Fernwärmebranche ausgemacht und teilt diese in drei übergeordnete Themen ein:
Darüber hinaus betont das Paper, das sich die Forschung zur Fernwärme überwiegend mit den Fragen nach dem "was muss getan werden und warum" beschäftigt, dabei aber zu selten die Fragen nach dem "wie muss etwas getan werden und von wem" aufgreift und beantwortet. Als Lösung schlagen die Forschenden vor, dass ein besseres Verständnis des Innovationsprozesses helfen kann, die nötigen Schritte innerhalb von Organisationen und in der gesamten Branche umzusetzen.
Das Forschungsteam geht davon aus, dass ein besseres formales Verständnis von Innovation für den Fernwärmesektor hilfreich sein kann, um Innovationen besser zu organisieren und gezielt voranzutreiben. Dazu definiert das Paper "Innovationen" im Sinne des Oslo Manuals als grundlegend neue oder verbesserte Produkte und Dienstleistungen, die in der Praxis angewandt werden, d.h. den Nutzern zur Verfügung gestellt oder intern in einer Organisation angewendet werden. In dem Artikel wird die Fernwärme als eine "skalenintensive Branche" eingeordnet (d.h. dass hohe Marktanteile und Skaleneffekte wichtig sind). Aus der Innovationsperspektive wird sie außerdem als "anbieterdominierte Branche" bezeichnet (d. h. Technologielieferanten treiben Innovationen voran und geben sie an die Betreiber weiter).
Darüber hinaus kann man laut Artikel Innovationen in verschiedene Ebenen (von der Komponentenebene bis zur Systemebene) und anhand der Neuartigkeit (von schrittweiser bis radikaler Veränderung) gliedern. Für diese verschiedenen Einordnungen führt der Artikel verschiedene Beispiele auf. So wird zum Beispiel das Auffinden von Leckagen und Fehlern in den Übergabestationen der Gebäude als Beispiel für einen schrittweise Innovation auf der Komponentenebene genannt. Ebenfalls auf der Komponentenebene wird eine ganzheitliche prädiktive Instandhaltung (Predictive Maintenance) für alternde Rohrabschnitte als radikale Innovation genannt. Außerdem werden niedrigere Netztemperaturen als schrittweise Innovation auf der Systemebene aufgeführt. Für eine radikale Innovation auf der Systemebene liefert die Literatur keine eindeutigen Antworten, aber der Artikel nennt bidirektionale, kalte Netze mit verteilten Speichern als potenziellen Rahmen für eine solche radikale Innovation.
Um einen besseren Einblick in die verschiedenen Richtungen für Innovation im Fernwärmesektor zu erhalten, ordnet das Paper alle betrachteten Forschungsarbeiten in 8 Kategorien ein: Die ersten 4 Kategorien entsprechen einzelnen Schritten in der Fernwärme-Wertschöpfungskette: Brennstoffeinsatz, Wärmeerzeugung, Wärmeverteilung und Wärmeübertragung. Als weitere Kategorien werden Artikel definiert, die sich mit dem Fernwärmesystem als Ganzem beschäftigen. Eine weitere Kategorie nehmen Artikel mit einer umfassenderen Sichtweise auf ein integriertes Stadtsystem ein. Und abschließend werden sowohl die Auswirkungen und Rolle der Fernwärme als auch die Fernwärme im Kontext der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften als eigene Kategorien gewertet.
Anhand dieser Einordnung stellt der Artikel fest, dass sich die meisten Forschungsarbeiten mit dem Bereich der Wärmeerzeugung beschäftigen (35 % aller berücksichtigten Arbeiten). Dabei liegt der Schwerpunkt entweder auf spezifischen Erzeugungs- und Speichertechnologien oder auf der Modellierung von Bedarfsprognosen und der Optimierung der Erzeugungsseite. Die zweitwichtigste Kategorie (18 %) stellen die Auswirkungen der Fernwärme auf die Kunden, die Umwelt und die Gesellschaft dar. Diese Artikel befassen sich hauptsächlich mit Nachhaltigkeit, dem politischen Rahmen, erneuerbaren Energien und der Kraft-Wärme-Kopplung. Als drittwichtigste Kategorie (16 %) wurden Artikel mit Blick auf das Fernwärmesystem als Ganzes identifiziert. Hier stellt der Artikel fest, dass der Forschungsschwerpunkt häufig auf dem Potential von Innovationen in den frühen Phasen liegt (einschließlich Themen wie niedrige Temperaturen, Optimierung, erneuerbare Energien und intelligente Energiesysteme), dass aber Innovationen in der Vergangenheit weitgehend auf Komponentenebene stattgefunden haben und dass radikale Systeminnovationen in der Literatur nicht gut vertreten sind.
Das Paper weist außerdem auf die Diskrepanz zwischen der Rolle der Wärmeverteilung, d.h. des Rohrnetzes, in der Praxis und ihrer Rolle in der Forschung hin. Es wird angeführt, dass ein Fernwärmeunternehmen typischerweise die Hälfte seines Kapitals für das Verteilungsnetz aufwenden muss (was Kosten in Höhe von mehreren Millionen Euro verursachen kann), die Wärmeverteilung mit nur 4,7 % aller Arbeiten aber die kleinste Gruppe des betrachteten Forschungsbestands ausmacht. Davon befassen sich etwa 2/3 mit Neubau und 1/3 mit bestehenden Netzen. Dieser Gegensatz zwischen wirtschaftlicher Bedeutung und geringem Forschungsumfang könnte auf ein ungenutztes Potenzial für mehr Innovation hinweisen.
Wie bereits in unserer Einleitung erwähnt leiten die Forschenden aus der detaillierten Untersuchung des Innovationspotenzials in allen 8 Kategorien 3 übergeordnete Themen für Innovation im Fernwärmesektor ab. Davon ist die Transformation von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energien natürlich ein Thema, das nicht nur für die Fernwärme, sondern für alle Energiesysteme bestimmend ist. Im Zusammenhang mit der Fernwärme wird festgestellt, dass die entsprechenden Forschungsarbeiten gleichzeitig ein stärkeres Interesse an Speicherlösungen zeigen, um Flexibilität für andere Energiesektoren bereitzustellen. Außerdem führt dies zu weniger Forschungsarbeiten zum Brennstoffeinsatz im Allgemeinen und zu einer stärkeren Konzentration auf die Frage, wie die erneuerbaren Energieträger in Fernwärmesysteme integriert werden können.
Als zweites großes Thema wird die zunehmende Nutzung und Integration dezentraler Wärmequellen in Fernwärmenetze im Zusammenhang mit Wärmenetzen der 4. Generation (4GDH) angeführt. In diesem Zusammenhang liegt das Hauptaugenmerk bei der Fernwärme weniger auf der zentralen Wärmeerzeugung, sondern auf der Verteilung der Wärme zwischen verschiedenen Erzeugern und Verbrauchern. Dies wird durch niedrigere Netztemperaturen gefördert, die auch die Nachfrageseite dazu zwingen, mit niedrigeren Eingangstemperaturen zu arbeiten. In diesem Zusammenhang stellt der Artikel fest, dass eine Umstellung vieler Wärmeverbraucher auf niedrigere Temperaturen machbar erscheint, entweder durch die Optimierung ihrer Gebäudesysteme für niedrigere Temperaturen oder durch die lokale Anhebung des Temperaturniveaus mit dezentralen Anlagen.
Das Paper betont, dass sie in der Diskussion um 4. und 5. Generation von Wärmenetzen (4GDH vs. 5GDH) und die Frage, ob es sich dabei überhaupt um unterschiedliche Konzepte handelt, keine Stellung beziehen. Jedoch nennen sie als drittes großes Innovationsthema kalte Netze, welche in der Fachliteratur häufig unter dem Begriff 5GDH veröffentlicht werden. In ihrer Analyse stellt das Team fest, dass bei diesen Netzen die lokale Energiespeicherung ein wichtiges Innovationsfeld ist, um den Stromverbrauch von Wärmepumpen zu minimieren und Lastspitzen zu vermeiden. Darüber hinaus wird festgestellt, dass solche Netze neue Systemgrenzen und das Management aktiverer Komponenten (z.B. Wärmepumpen und Speicher) erfordern und das Potenzial für einen bidirektionalen Betrieb für Heizung und Kühlung bieten, was alles zu radikaleren Innovationen führen kann.
Und allgemein weist das Paper darauf hin, dass sich die derzeitige Fernwärmeforschung vor allem darauf konzentriert, "was getan werden muss und warum", und nicht darauf, "wie und von wem es getan wird". Dieser letzte Perspektivwechsel wird als ein wichtiger Punkt angesehen, um mehr Innovation in die Praxis zu bringen. Natürlich konzentriert sich der Artikel ausschließlich auf die veröffentlichte Forschung zum Thema Fernwärme. Gleichzeitig sehen wir, dass viele der im Artikel erwähnten Innovationen bereits von Fernwärmebetreibern und nicht zuletzt in unseren Projekten bei heatbeat bereits in der Praxis umgesetzt werden. Wir sind jedoch grundsätzlich der Meinung, dass die Stärkung der Sicht auf die Akteure und Rollen bei der Förderung von Innovationen auch in der Forschungslandschaft ein wichtiger Katalysator für Innovationen und positive Veränderungen im Fernwärmesektor sein kann.
Der Artikel ist frei verfügbar unter https://doi.org/10.1016/j.segy.2021.100003 und wir empfehlen für weiterführende Informationen den Artikel in voller Länge. Abschließend wird in dem von uns vorgelegten Artikel auch betont, dass sich die Fernwärmebranche seit mehr als einem Jahrhundert an die sich ändernden Rahmenbedingungen anpasst und ihr daher Innovation und Anpassung nicht fremd sind. Bei den festgestellten Trends sehen wir einige Parallelen und auch interessante Ergänzungen zu dem, was wir aus unserer eigenen Analyse der Forschungstrends zum Thema Fernwärme gelernt haben, die wir Ihnen in einer unserer vorherigen Newsletter-Ausgaben für 2021 vorgestellt haben. In einer unserer nächsten Ausgaben werden wir dieses Thema wieder aufgreifen und Ihnen eine aktualisierte Version der District Heating Trends für das Jahr 2022 präsentieren.
Unsere nächste Ausgabe erscheint am 02. März 2022.
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