unser letzter Newsletter im Jahr 2022 gibt noch einmal einen Überblick über kürzlich veröffentlichte Artikel zum Thema Fernwärme, die uns in den letzten Wochen aufgefallen sind. Wie schon das gesamte Jahr über wurden dabei zahlreiche interessante Beiträge zu den unterschiedlichsten Themen veröffentlicht. Daraus haben wir Arbeiten mit den Schwerpunkten auf Optimierung der Netztopologie und auf Netzdimensionierung sowie auf einer Methode zur datenbasierten Mustererkennung für Betriebsfehler ausgewählt.
Die vor wenigen Tagen veröffentlichte Arbeit von Wack et al. beschreibt eine wirtschaftliche Optimierung der Netztopologie von Fernwärmenetzen (Economic topology optimization of District Heating Networks using a pipe penalization approach). Diese Arbeit baut auf einer früheren Arbeit des gleichen Forschungsteams zur Topologieoptimierung auf. In der aktuellen Arbeit haben die Forschenden jedoch die wirtschaftliche Bewertung als entscheidenden Teil der Optimierung deutlich verbessert. Sie argumentieren, dass eine detailliertere wirtschaftliche Bewertung in der Entwurfsphase dazu beitragen kann, mehr Projekte zum Erfolg zu führen, da die hohen Anfangsinvestitionen die größte Herausforderung für die Fernwärme darstellen. Darüber hinaus kombinieren die Forschenden diese wirtschaftliche Perspektive mit einem nichtlinearen Wärmetransportmodell, um ein Gleichgewicht zwischen physikalischer Genauigkeit und Skalierbarkeit ihres Optimierungsmodells zu finden.
Um eine schnelle Lösung zu erreichen (10 Minuten Optimierung für ein Netz mit 160 angeschlossenen Gebäuden), beginnt die Methode mit einer kontinuierlichen Funktion und führt dann in einem zweiten Schritt zu einer diskreten Lösung für jeden Rohrdurchmesser. Dieser Ansatz wird in dem Artikel für ein Netz demonstriert, das die oben erwähnten 160 Gebäude mit Wärme aus 2 potenziellen Wärmequellen versorgt. In diesem Fall zeigen die Ergebnisse, wie unterschiedliche Wärmeerzeugungskosten und Temperaturniveaus der beiden Wärmequellen die optimale Netztopologie beeinflussen. Somit stellen die Forschenden eine interessante Methode zur Optimierung des Kapitalwerts eines Fernwärmeprojekts mit einer optimalen Netztopologie vor.
Unser zweiter Beitrag, der für diesen Newsletter ausgewählt wurde, befasst sich ebenfalls mit den Herausforderungen bei der Auslegung von Fernwärmenetzen, allerdings mit Schwerpunkt auf dem hydraulischen Netzbetrieb und unter Verwendung eines detaillierten thermohydraulischen Simulationsmodells. In dem Beitrag Dimensioning of low-temperature district heating grids with geothermal heat sources using detailed simulation software SIM-VICUS, stellen Hirsch et al. ihr Simulationswerkzeug SIM-VICUS vor und zeigen, wie es zur Bewertung verschiedener Regelstrategien für die Netzpumpen verwendet werden kann.
Als Anwendungsfall stellen die Autoren das kalte Nahwärmenetz in Bad Nauheim vor, das durch einen großen Erdkollektor versorgt wird und daher mit Netztemperaturen zwischen -5 und 20 °C arbeitet. Um mit diesen Netztemperaturen arbeiten zu können, sind die Gebäude mit Wärmepumpen ausgestattet, die das Netz als Niedertemperaturwärmequelle nutzen. Das Hauptaugenmerk der Arbeit liegt jedoch auf der Bewertung des Stroms, der für den Betrieb der zentralen Netzpumpe benötigt wird, um einen ausreichenden Vorlaufdruck für alle Gebäude bereitzustellen. Dazu zeigen die Forschenden, dass im Vergleich zu einem konstanten Vorlaufdruck eine Schlechtpunktregelung rund 50 % des Pumpstroms einsparen kann.
Wenn wir den Blick von Optimierungs- und Simulationsmodellen hin zu datenbasierten Methoden richten, wollen wir in dieser Ausgabe unseres Newsletters auch den Artikel Pattern detection in abnormal district heating data von Mbiydzenyuy und Sundell vorstellen, auch wenn es sich noch um eine Preprint-Version handelt. Das erste Bemerkenswerte an der Arbeit ist unserer Meinung nach, dass die Arbeit damit beginnt, Fernwärme als ein gutes Beispiel für eine industrielle Anwendung mit großen Mengen an Sensordaten zu einzuordnen. Auch wenn dies sicherlich (noch) nicht bei jedem Fernwärmenetz der Fall ist, so ist dies doch ein deutliches Zeichen dafür, dass wir uns in Richtung größerer Datenmengen bewegen, die zur Analyse zur Verfügung stehen. Und um diese Daten optimal zu nutzen, ist die Fehlererkennung und -diagnose ein vielversprechendes Feld, mit dem sich bereits andere Publikationen beschäftigt haben.
Wir sind jedoch der Meinung, dass dieser Artikel eine besondere Herausforderung bei der Arbeit mit solchen Daten anspricht, die wir wahrscheinlich immer häufiger in Fernwärmeanwendungen sehen werden: Es gibt zwar Messdatensätze, die Störungen und ungewöhnliche Betriebspunkte beinhalten, aber im Allgemeinen fehlen dazu gelabelte Fehlerdaten. Das bedeutet, dass Methoden aus dem Bereich Unsupervised Learning eine vielversprechende Lösung sein können, um die Fehler in den Messdaten zu identifizieren. Da diese Fehler jedoch nicht gelabelt sind, wäre immer noch manueller Aufwand erforderlich, um herauszufinden, welcher Fehler im echten System aus dem Datensatz abgeleitet werden kann. Um dieses Problem abzumindern, stellen die Forschenden einen Ansatz vor, der es ermöglicht, Muster in solchen Anomaliedaten zu finden und somit automatisch wahrscheinliche Ursachen für Anomalien vorzuschlagen, selbst wenn nur eine oder sehr wenige Instanzen von gelabelten Fehlerdatenpunkten verfügbar sind.
Zusätzlich zu diesen Artikeln haben Garay-Martinez et al. kürzlich ein neues Handbook of Low Temperature District Heating mit mehreren interessanten Beiträgen veröffentlicht. Und auch wenn es sich nicht strikt auf Fernwärme konzentriert, finden wir, dass der Artikel Accurate metering and billing of ambient loop systems eine interessante Perspektive auf die Messung von Wärmeausgleichseffekten bietet, wie wir sie auch in 5GDHC-Netzen finden können.
Und schließlich ist uns aufgefallen, dass zwei kürzlich erschienene Artikel (hier und hier) hre Motivation für die Entwicklung neuer Fernwärmemodelle aus Sorge über schlechte Performance bestehender Modelica-Modelle in der Modelica IBPSA Library ableiten. Um zu dieser Diskussion beizutragen, wollten wir noch unsere gegenteilige Erfahrung bei heatbeat teilen: Obwohl es eine Herausforderung sein kann, diese Modelle effizient zu nutzen, haben wir festgestellt, dass genau diese Modelle eine sehr gute Grundlage für die Entwicklung von effizienten Workflows und Systemmodellen auch für große Anwendungen mit Hunderten von angeschlossenen Gebäuden darstellen.
Unser nächster Newsletter wird am 4. Januar 2023 erscheinen. Bis dahin wünschen wir Ihnen frohe Feiertage und einen guten Start in das neue Jahr!
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