Während wir die wissenschaftlichen Literatur zum Thema Fernwärme aufmerksam verfolgen, ist uns aufgefallen, dass sich in den letzten Wochen einige wichtige Themen herauskristallisieren. Daraus haben wir für diese Ausgabe unserer Newsletters das Thema der Dekarbonisierung und der entsprechenden politischen Rahmenbedingungen herausgegriffen. Da wir dieses Thema für sehr aktuell und relevant halten, möchten wir Ihnen einen kurzen Überblick über die neuesten Forschungsergebnisse dazu geben.
In einer Fallstudie für Dänemark untersuchen Siddique et al. die Auswirkungen eines früheren Erdgasausstiegs sowie von Maßnahmen zur Wärmeeinsparung auf die Fernwärme und das Energiesystem ( Impacts of earlier natural gas phase-out & heat-saving policies on district heating and the energy system). Dabei schlussfolgern sie, dass ein schnellerer Erdgasausstieg bis 2030 im Vergleich zu anderen Wegen hin zu CO₂-Neutralität bis 2050 nur zu einer sehr geringen Kostensteigerung (+ 0,07 %) führt. Die wichtigsten Faktoren für einen schnelleren Ausstieg aus der Erdgasnutzung sind der Studie zufolge ein höherer Einsatz von Bioenergie, eine stärkere Elektrifizierung des Wärmesektors durch den Einsatz von Wärmepumpen und der Ausbau von Fernwärmenetzen.
Insgesamt halten die Forschenden solche Maßnahmen auf der Erzeugungsseite für kosteneffizienter als massive Investitionen in Gebäudesanierungen zur Senkung des Wärmebedarfs. Obwohl viele dieser Ergebnisse natürlich spezifisch für den Wärmesektor in Dänemark sind, können die Fallstudie, die verwendeten Methoden und die Schlussfolgerungen auch für die Anwendung in anderen Ländern wichtige Anhaltspunkte liefern.
Die Dekarbonisierung von Fernwärmenetzen stellt eine globale Herausforderung dar, jedoch unterscheiden sich Politik und lokalen Anforderungen von Land zu Land. Deshalb halten wir es für besonders hilfreich, die Parallelen und Unterschiede zwischen den verschiedenen Ländern zu verstehen, wenn es um ihre Fernwärmelandschaft und ihre Energiesysteme im Allgemeinen geht. In diesem Zusammenhang möchten wir daher auf den Artikel Policy frameworks for district heating: A comprehensive overview and analysis of regulations and support measures across Europe von Billerbeck et al. hinweisen. Das Paper vergleicht die aktuellen politischen Rahmenbedingungen für Fernwärme in 23 europäischen Ländern und kommt zu dem Ergebnis, dass sie sich in fünf verschiedene Gruppen mit unterschiedlichem Regulierungs- und Förderungsansätzen für Fernwärme einteilen lassen.
Für Deutschland wird ein hohes Maß an Regulierung in Bezug auf die Netzanschlüsse der Verbraucher und ein hohes Maß an Förderung für Fernwärme sowie ein mittleres Maß an Regulierung in Bezug auf Betreiber, Preise und Abrechnung festgestellt. Damit gehört Deutschland zusammen mit Ländern wie Dänemark, Österreich und Italien zum Cluster "Regulieren und Fördern", während z.B. Norwegen und Schweden in die Kategorie "Regulieren einschließlich Zugang Dritter und Regulieren" fallen, während z.B. Großbritannien, Spanien und Finnland zum Cluster "Regulieren und Besteuern" gehören.
Als eine zentrale Schlussfolgerung zeigt das Paper, dass es sowohl in Ländern mit einem hohen als auch mit einem niedrigen Regulierungsniveau möglich ist, durch die Kombination verschiedener Maßnahmen und Anreize einen hohen Anteil an grüner Fernwärme zu erreichen. Dies zeigt natürlich, dass es kein Patentrezept oder eine einzige bewährte Praxis gibt, die überall leicht übernommen werden könnte. Wir fanden jedoch, dass dieses Papier einen sehr hilfreichen Überblick über die aktuelle Situation und die verschiedenen Ansätze der Fernwärmepolitik in Europa gibt.
Um unseren Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Thema Dekarbonisierung abzurunden, möchten wir auch das Paper District heating and cooling networks with decentralised energy substations: Opportunities and barriers for holistic energy system decarbonisation von Angelidis et al. erwähnen. Die Forschenden befassen sich mit dem wichtigen Thema, wie Fernwärme-Übergabestationen mit Wärmepumpen und thermischen Energiespeichern in kalten bidirektionalen Wärme- und Kältenetzen die Sektorkopplung zwischen Wärme, Kälte und Strom erleichtern und damit den übergeordneten Prozess zur Dekarbonisierung unterstützen können. In dieser Studie bewerten die Forschenden eine umfassende Liste von Hürden als auch von Chancen für die Einführung solcher Systeme sowohl anhand aktueller Literatur als auch anhand von Interviews mit verschiedenen Stakeholdern. In diesem Zusammenhang betrachten die Forschenden Systeme, bei denen das Kältenetz sowohl Wärme als auch Kälte für die Gebäude bereitstellt.
Als Schlüsselaspekt für die Bewertung der Machbarkeit von bidirektionalen Wärme- und Kältenetzen wird in dem Artikel die Gleichzeitigkeit von Wärme- und Kältebedarf im Netz ermittelt. Darüber hinaus werden die Herausforderungen einer effizienten Regelung der hydraulischen Zustände des bidirektionalen Netzes hervorgehoben, aber auch die Möglichkeiten der Nutzung der Wärmepumpen als Flexibilitätsquelle für das Stromnetz erwähnt. Als Schlussfolgerung schlagen die Forschenden vor, auf der Quartiersebene mit einer begrenzten Anzahl von Prosumern aufzubauen, um die Möglichkeiten optimal zu nutzen und einige der Hürden bei der Dekarbonisierung von Fernwärmenetzen zu überwinden. Ein Aspekt, den wir in diesem Paper besonders interessant fanden, ist der Abschnitt, der auf Interviews mit Stakeholdern basiert und der die Diskussion der wissenschaftlichen Literatur um wertvolle Erkenntnisse aus verschiedenen Perspektiven ergänzt.
Neben dem Thema der Dekarbonisierung gab es auch einige sehr aktuelle Veröffentlichungen, die sich mit der optimalen Steuerung von Fernwärmenetzen auf der Grundlage von Vorhersage- und Prognosemethoden befassten. Obwohl wir dieses Thema in dieser Ausgabe des Newsletters nicht im Detail behandelt haben, fanden wir die folgenden Beiträge aufschlussreich und interessant:
Die nächste Ausgabe unseres Newsletters wird am 1. März erscheinen.