viele unserer Newsletter haben sich bisher mit Themen nahe an der Technik von Fernwärmesystemen beschäftigt. In unserer aktuellen Ausgabe möchten wir den Blick etwas höher legen und einen Artikel vorstellen, der aufzeigt wie große Fernwärmesysteme in Zukunft dekarbonisiert werden können. Der Beitrag schlägt ein neues Verfahren vor, bei dem regenerativen Wärmequellen mittels einer computergestützten Analyse erkannt werden und das Potenzial für das Fernwärmenetz identifiziert wird. Als Beispiel wird die neue Methodik auf das bestehende Fernwärmesystem der Stadt Stockholm in Schweden angewendet. Anhand dieser Case-Study werden Wärmequellen ausgewählt, die das theoretische Potenzial haben den Wärmebedarf zu 100 % zu decken.
In dieser Ausgabe stellen wir die Arbeit High-resolution mapping of the clean heat sources for district heating in Stockholm City von Chang Su et al. vom Department of Energy Technology des KTH Royal Institute of Technology (Stockholm, Schweden) vor.
Chang Su et al. befassen sich mit der Fragestellung, wie nachhaltige Energiequellen für große Fernwärmesysteme identifiziert und charakterisiert werden können. Zuerst werden mittels georeferenzierter Karten (Software: QGIS) die Standorte der möglichen Energiequellen identifiziert und in einer Datenbank gespeichert. Dabei wird ein hochaufgelöstes Raster verwendet und öffentliche Datenquellen (z. B. OpenStreetMaps, GoogleMaps) verwendet. In einem zweiten Schritt werden den Standorten spezifische Eigenschaften des Wärmepotentials zugeordnet. Hierbei werden Literaturquellen und Vereinfachungen getroffen. Im letzten Schritt werden Cluster gebildet und die Wärmequellen dem bestehenden Netz zugeordnet.
Insgesamt werden 324 mögliche Wärmequellen identifiziert. Die Wärmequellen werden in die Kategorien Supermarkt, Rechenzentren, Eisstadien, Kläranlagen, U-Bahn-Stationen, sowie Gewässer und Geothermie berücksichtigt. Mit Hilfe einer Clusteranalyse werden neun Regionen identifiziert, in denen ein besonders hohes Aufkommen für Wärmequellen vorliegt. Die Autoren heben die besondere Bedeutung von Rechenzentren und Umweltwärme hervor. Für Stockholm sind ~ 45 % des gesamten ermittelten Potenzials Rechenzentren, ~ 48 % Umweltwärme aus Gewässern. Supermärkte, welchen absolut die höchste Anzahl an Standorten haben, tragen nur mit etwa 4.5 % zum theoretischen Potenzial bei.
Der Artikel High-resolution mapping of the clean heat sources for district heating in Stockholm City von Chang Su et al. Department of Energy Technology des KTH Royal Institute of Technology (Stockholm, Schweden) charakterisiert Wärmequellen in der Stadt Stockholm mit einem „Top-Down“ Verfahren. Das Ziel ist es, mögliche Cluster für nachhaltige Energiequellen zu identifizieren und in der kommunalen Wärmeplanung der Stadt Stockholm zu berücksichtigen. Zuvor werden mögliche Wärmequellen definiert (z. B. Supermärkte). Die Standorte dieser Wärmequellen werden mittels einer computergestützten GIS-Analyse identifiziert und in einer Datenbank gespeichert. Um die Standorte exakt zu definieren, wird ein hochaufgelöstes Raster verwendet. Um die Standorte von großflächigen Wärmequellen (z. B. Geothermiefelder) genau zu lokalisieren, werden neben Punkt-Objekten auch Polygone und Linienobjekte eingesetzt. Besonders gut finden wir, dass die gesammelten und bereinigten Daten der Öffentlichkeit frei zur Verfügung gestellt werden. Dazu stellen die Autoren einen Download bereit, der unter folgender Adresse abgerufen werden kann: https://doi.org/10.1016/j.enconman.2021.113983
Nachdem die Standorte der einzelnen Wärmequellen lokalisiert wurden, haben die Autoren jeder Wärmequelle ein empirisches Modell hinterlegt. Die Parameter der Modelle basieren auf Literaturangaben oder Annäherungen. Eine wichtige Einschränkung in dieser Studie ist, dass nur jährliche Energiemengen berücksichtigt werden, dies wurde zwar durch die Auswahl der Wärmequellen berücksichtigt (es wurden nur solche gewählt, die einen ganzjähriges Potenzial aufweisen), jedoch sind insbesondere jahreszeitliche Schwankungen nicht berücksichtigt worden.
Insgesamt wurde das theoretische Potenzial von sieben unterschiedlichen Wärmequellen untersucht. Die folgende Übersicht beschreibt die von Su et al. getroffene Charakterisierung der Wärmequellen. Dabei wurde neben der jährlich verfügbaren Energie auch das Temperaturniveau beschrieben.
Biomasse und industrielle Abwärme werden in der Studie nicht betrachtet. Biomasse wird von außerhalb Stockholms importiert, der Anspruch ist es jedoch lokale Quellen zu erschließen. Abwärme aus industriellen Prozessen werden ebenfalls nicht berücksichtigt, da sich diese Anlagen meist weiter außerhalb des Stadtgebietes befinden.
Zusammengenommen können die Wärmequellen den gesamten Energiebedarf des Fernwärmenetzes decken. Das theoretische Potential liegt bei 7054 GWh/a, der Wärmebedarf des Wärmenetzes von Stockholm bei etwa 6000 GWh/a. Alle vorgestellten Wärmequellen nutzen Wärmepumpen, um das Temperaturniveau auf das des Wärmenetzes zu heben. Die hat natürlich einen hohen Einfluss auf den Strombedarf einer Stadt wie Stockholm. Die Autoren heben die besondere Bedeutung von Rechenzentren und Umweltwärme hervor. Für Stockholm sind ~ 45 % des gesamten ermittelten Potenzials Rechenzentren, ~ 48 % Umweltwärme aus Gewässern. Supermärkte, welchen absolut die höchste Anzahl an Standorten haben, tragen nur mit etwa 4.5 % zum theoretischen Potenzial bei. Diese Energiequellen sind jedoch auf das gesamte Stadtgebiet Stockholms verteilt. Um dem Rechnung zu tragen, wenden die Autoren ein Clustering an und identifizieren 9 Cluster, welche eine dichteres Potenzial (Energie) aufweisen. Die Cluster beinhalten fast immer ein Rechenzentrum.
Diese Top-Down Analyse trifft einige Vereinfachungen. Deshalb betonen Su et. al. auch, dass für jede Wärmequelle eine detaillierte technisch und ökonomische Betrachtung durchgeführt werden muss. Auch hinsichtlich der rechtlichen Machbarkeit und Zuständigkeiten (z. B. Abwärme Supermarkt) müssen detaillierte Untersuchungen folgen.
Su et al. zeigen, dass mit bereits vorhandenen Energiequellen der Wärmebedarf von großen Fernwärmesystemen, in diesem Fall der Stadt Stockholm, gedeckt werden kann. Wir glauben, dass computergestützte kommunale Wärmeplanungen einen wesentlichen Beitrag zur Dekarbonisierung der Wärmeversorgung beitragen können. Die Arbeit von Su et al. zeigen einen weiteren Trend in der Fernwärmeversorgung auf. Auch größere Netze werden in Zukunft stärker mit dezentralen Einspeisungen versorgt.
Bei heatbeat setzen wir auf dynamische Simulationswerkzeuge für thermische Netz und Erzeuger und bilden somit eine gute Schnittstelle zwischen den Top-Down Ansatz von Su et al. und der konkreten Planung der Energiesysteme, indem wir das jährliche Potenzial in eine dynamische Simulation übersetzen und so konkrete Aussagen zur Nutzbarkeit der Wärmequellen machen können.
Der Artikel von Su et al. ist unter https://doi.org/10.1016/j.enconman.2021.113983 frei verfügbar und umfasst neben den hier vorgestellten Ergebnissen vor allem die graphischen Darstellungen der Wärmequellen und Cluster-Analysen.
Die nächste Ausgabe unseres Newsletters wird am 06. Oktober 2021 erscheinen.
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