Der Anteil erneuerbarer Energien in deutschen Fernwärmenetzen liegt bei ca. 13 % und muss in den nächsten Jahren schnell gesteigert werden. In vergangenen Newslettern haben wir dazu schon einige Forschungsarbeiten vorgestellt (z. B. zur Einbindung von Wärmepumpen in Fernwärmenetze, Einbindung von Abwärme aus Rechenzentren oder eine kommunale Wärmeplanung für die Stadt Stockholm). Es existieren aber noch viele weitere Untersuchungen, die mögliche erneuerbare Wärmequellen für Wärmenetze der 4. Generation darstellen. Mögliche Quellen für Wärmenetze lassen sich in Solarthermie, Abwärme, Geothermie und Biomasse kategorisieren. Jede dieser Wärmequellen sind nach Ansicht der Europäischen Union mit dem „Technology Readiness Level“ von 9 bewertet, das heißt sie können wirtschaftlich im großen Maßstab eingesetzt werden.
Ein neuer Forschungsbeitrag von A.M. Jodeiri, M.H. Golfsworthy, S. Bugga, und M. Cozzini vom Institut für erneuerbare Energie (EURAC Research) in Bozen, Italien gibt einen Überblick über das aktuell genutzte Potenzial und der grundlegenden Eigenschaften der vier Kategorien. In dem Artikel Role of sustainable heat sources in transition towards fourth generation district heating – A review wurden insgesamt 140 Forschungsbeiträge ausgewertet, welche die Einbindung erneuerbarer Energien untersuchen (frei verfügbar unter: https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1364032122000843?via%3Dihub). Neben den Vorteilen der einzelnen Kategorien arbeiten Jodeiri et al. auch die Herausforderungen und Nachteile heraus. Dabei gehen sie nicht nur auf die technischen, sondern auch die nicht-technischen Aspekte ein. Sie leiten aus ihrer detaillierten Literaturrecherche außerdem die Notwendigkeit nach saisonalem Speichern ab. Als Voraussetzung zur Einbindung erneuerbarer Energien nennen die Autoren die Absenkung der Vorlauftemperaturen, sowie die Reduzierung der Wärmeverluste im Netz, also eine Transformation der Wärmenetze in die 4. Generation. Dabei muss die hydraulische Machbarkeit für jedes Netz individuell geprüft werden. Aus ökonomischer Sicht können folgenden übergreifenden Schlüsse gezogen werden: (a) es entstehen zusätzliche Kosten, um das Temperaturniveau der Gebäude zu reduzieren, (b) Investition in die Infrastruktur sind notwendig, um geringe Temperaturen zu ermöglichen, (c) Investitionen in die Erschließung erneuerbarer Energien müssen getätigt werden und (d) die Betriebskosten werden gegenüber aktuellen Systemen reduziert.
Zur Einbindung von Solarthermie in Fernwärmenetzen werden häufig nicht-konzentrierende Solarkollektoren eingesetzt. Das in den Kollektoren erwärmte Wasser wird direkt im Vorlauf- oder zur Rücklaufanhebung genutzt. Die Autoren haben 260 große Anlagen (mehr als 350 kW oder 500 m²) identifiziert. Der (geplante) solare Deckungsanteil liegt bei den untersuchten Systemen zwischen 30 und 90 %. Die Temperaturen der Systeme reichen von 40 °C (Rücklaufanhebung) bis zu 95 °C (direkte Nutzung im Vorlauf). Die Autoren zeigen anhand unterschiedlicher Studien, dass die zentrale Einbindung wirtschaftlich vorteilhafter ist als viele dezentrale Einbindungen. Die Verwendung von Vakuum-Röhrenkollektoren bietet sich insbesondere bei hohen notwendigen Temperaturen an, bringt aber zusätzliche Investitionen mit sich. Eine Kombination aus Flach- und Vakuum-Röhrenkollektoren kann Vorteile bieten, denn die Flachkollektoren besitzen bei hohen Einstrahlungen (mittags) einen hohen Ertrag, während die Röhrenkollektoren gleichmäßiger über den Tag Energie wandeln. Solarthermische Anlagen werden nahezu immer mit saisonalen Speichern kombiniert. Die Vorteile der Solarthermie liegen in der hohen Verfügbarkeit mit geringem Wartungsaufwand. Außerdem lassen sich diese Systeme sehr gut mit anderen erneuerbaren und nicht erneuerbaren Quellen kombinieren. Die Herausforderungen liegen insbesondere in dem kurz- und langfristig fluktuierenden Angebot. Solarthermie steht besonders dann zur Verfügung, wenn der Wärmebedarf gering ist. Hinzukommen hohe Investitionen und ein großer Platzbedarf für die Kollektoren.
Die Nutzung von Abwärme wird von den Autoren in industrielle Abwärme und urbane Abwärme unterteilt. Zu der genauen Anzahl von Abwärmenutzungen in Fernwärmenetzen gibt es keine Angaben, jedoch schreiben Jodeiri et al., dass in etwa 30 – 60 % des Energieverbrauchs als Abwärme in die Umgebung dissipiert werden, das Potenzial ist also sehr groß. In der EU wird die Abwärmemenge, welche realistisch genutzt werden kann, auf bis zu 750 TWh/Jahr geschätzt, was in etwa ein Viertel des Wärmebedarfs aller Gebäude in der EU ausmacht. Die Autoren identifizieren ein besonders hohes Potenzial von Niedertemperaturabwärme im Bereich von 30 – 100 °C. Das meiste Potenzial (etwa 50 %) liegt im Bereich von 40 °C und benötigt somit Wärmepumpen, um es zu Heizzwecken und Trinkwarmwassererwärmung in bestehenden Gebäuden nutzen zu können. Urbane Abwärme liegt meist bei noch niedrigeren Temperaturen im Bereich von 20 – 40 °C vor. Sie entsteht überall dort, wo Räume oder Prozesse gekühlt werden müssen (Lebensmittel, Rechenzentren, große Gebäude) aber auch Abwärme aus Kläranlagen birgt ein hohes Potenzial. Diese Abwärmequellen benötigen ebenfalls Wärmepumpen, um sie zu nutzen. Die größten Herausforderungen zur Nutzung von Abwärme sind, dass auch Abwärme unregelmäßig und mit unterschiedlichen Temperaturen anliegen kann. Häufig ist das Potenzial im Sommer höher als im Winter. Ein weiterer Faktor sind die vertraglichen Beziehungen zwischen Fernwärmenetzbetreiber und Abwärme Lieferant. Häufig ist es schwer, Garantien über längere Laufzeiten zu geben. Außerdem gibt es insbesondere für die urbane Abwärme noch wenig bindendes Recht. Abwärmenutzung ist bei direkter Verwendung eine investitionsarme Möglichkeit nachhaltige Energie einzubinden. Die Nutzung von Wärmepumpen verteuert die Nutzung von Abwärme.
Das Geothermiepotenzial teilen die Autoren in drei Kategorien anhand des erreichbaren Temperaturniveaus ein: hohe Enthalpie (> 180 °C), mittlere Enthalpie (100 – 180 °C) und niedrigere Enthalpie (< 100 °C). Die meisten der 240 in Europa verbauten Geothermiesysteme in Fernwärmenetzen sind klein (0,5 – 2,0 MW), wenige Anlagen reichen bis zu einer Kapazität von 50 MW. Insbesondere die Quellen mit niedriger Enthalphie müssen häufig Wärmepumpen eingesetzt werden. Geothermie wird in Wärmenetzen häufig als Grundlast eingesetzt, dies ist in den hohen Investitionen aber dafür verhältnismäßig geringen Betriebskosten zu begründen. Außerdem steht das geothermische Potenzial ganzjährig zur Verfügung. Je nach verwendeter Technologie müssen hier jedoch Regenerationszeiten berücksichtigt werden. Dies ist insbesondere für geschlossene und oberflächennahe Systeme der Fall. Ein großer Nachteil der Geothermie ist die investitionsintensive Erschließung der Quelle, dies gilt insbesondere für Tiefe Geothermie. Je nach Standort und verwendeter Technologie (insbesondere offene Verfahren) kann der Umwelteinfluss stärker ausgeprägt sein und muss in der Planung berücksichtigt werden.
Eine bereits oft genutzte Möglichkeit erneuerbare Energien in Wärmenetzen zu nutzen ist die direkte Verwertung (Verbrennung) von Biomasse. Aktuell werden in etwa 8 % des Wärmebedarfs in Fernwärmenetzen durch Biomasse gedeckt. Dabei werden sowohl Kessel als auch Blockheizkraftwerke eingesetzt. Diese Möglichkeit wird auch in Wärmenetzen der 3. Generation (höhere Temperaturen) genutzt. Trotz der höheren Temperaturen ist die Einbindung von Biomasse in Wärmenetze der 4. Generation laut Jodeiri et al. sinnvoll. Die geringeren Wärmeverluste reduzieren den Brennstoffeinsatz, welcher im Gegensatz zu den oben dargestellten Systemen oft kostenintensiv sein kann. Die Brennstoffbeschaffung ist eine bedeutende Herausforderung für Biomasse. Durch den geringeren Energiegehalt müssen Transportwege für Biomasse so gering wie möglich gehalten werden. Auch die Flächenkonkurrenz (sowohl in ländlichen als auch städtischen Gebieten) wird als ein wichtiger Faktor aufgeführt.
Die Implementation von saisonalen Speichern spielt eine entscheidende Rolle bei der Einbindung erneuerbarer Energien. Saisonale Speicher können als Erdbeckenspeicher, Kiesbett, Aquifer und Erdbohrungen ausgeführt werden. Wie oben bereits erwähnt sind die saisonalen Speicher insbesondere bei der Einbindung solarthermischer Systeme unabdingbar. Aber auch für Abwärme ist im Sommer häufiger ein höheres Potenzial als im Winter erkennbar und somit gegenläufig zum Wärmebedarf. Neben dem Platzbedarf für saisonale Speicher sind insbesondere die hohen Investitionen und das damit verbundene Risiko langer Abschreibungen ein hohes Risiko. Dieses Risiko ist in urbanen Gebieten mit hohen Grundstückpreisen stärker ausgeprägt. Die Planung und Umsetzung saisonaler Speicher benötigt eine genaue dynamische Betrachtung. Oft reichen die Temperaturen im Winter in saisonalen Speichern nicht zur direkten Beheizung aus und müssen mit Wärmepumpen kombiniert werden, auch dies erhöht noch einmal das Investitionsrisiko.
Insbesondere für die ausführliche Literaturrecherche zu Use Cases empfehlen wir den Artikel von Jodeiri et al. in voller Länge. Der Artikel ist frei verfügbar (https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S1364032122000843?via%3Dihub). Die nächste Ausgabe unseres Newsletters erscheint am 1. Juni 2022. Bis dahin folgen Sie uns gerne auf LinkedIn wo wir kleinere Anwendungsbeispiele und Informationen mit Ihnen teilen.
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