Obwohl in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen worden sind, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren, ist die Fernwärme in Deutschland trotzdem noch zu einem hohen Grad von ihnen abhängig. Die jüngste Statistik aus dem Jahr 2020 zeigt, dass Erdgas rund 44 % des Brennstoffeinsatzes ausmacht. Zusammen mit Steinkohle, Braunkohle und Erdöl beträgt der Anteil der fossilen Brennstoffe über 65 %. Ein großer Teil des fossilen Brennstoffeinsatzes wird dabei zwar für die Kraft-Wärme-Kopplung genutzt, so dass die Fernwärme zu einer sehr effizienten Brennstoffausnutzung beiträgt, jedoch hat der Übergang zu erneuerbaren Wärmequellen in den letzten Monaten vor dem Hintergrund der aktuellen Energiekrise in Europa und darüber hinaus an Dringlichkeit gewonnen. Es wird noch einige Zeit dauern, bis sich diese Dringlichkeit auch in der wissenschaftlichen Literatur niederschlägt, aber wir wollten dennoch bereits in dieser 22. Ausgabe unseres Newsletters statt einer detaillierten Zusammenfassung einer einzelnen Arbeit einen breiteren Überblick geben und einige Arbeiten hervorheben, die in den letzten Jahren bereits Strategien für die Transformation von Fernwärmenetzen in Deutschland untersucht haben.
In dem Paper The role and costs of large-scale heat pumps in decarbonising existing district heating networks – A case study for the city of Herten in Germany untersuchten Popovski et al. bereits im Jahr 2019 in einer Fallstudie für die Stadt Herten die Rolle und Kosten von Großwärmepumpen bei der Dekarbonisierung bestehender Fernwärmenetze. In dieser Studie verglichen die Forschenden 7 Zukunftsszenarien mit einem Referenzszenario für den Status Quo des Fernwärmenetzes in Herten. In diesem Referenzszenario wurde das zweiteilige Fernwärmenetz in Herten größtenteils von kohlebefeuerten Heizkraftwerken mit einem kleinen zusätzlichen Anteil an Wärme aus einer Müllverbrennungsanlage versorgt. Für die Zukunftsszenarien wurde die Einführung neuer Wärmequellen wie Solarthermie, Biomasse und insbesondere Wärmepumpen in Betracht gezogen. Außerdem wurde dabei ein geringerer Wärmebedarf aufgrund von Gebäudesanierungen berücksichtigt.
Eine wichtige Erkenntnis aus der Analyse war, dass die langfristigen Dekarbonisierungsziele der Stadt nicht zu erreichen sind, ohne die Energieträger der Fernwärme zu ändern. Und auf der Grundlage der Kostenannahmen von 2019 zeigte der Artikel, dass der Übergang zu Großwärmepumpen im Vergleich zum Referenzszenario ohne mehrere Änderungen der Randbedingungen nicht kosteneffizient ist. Zu diesen Änderungen gehörten niedrigere Netztemperaturen, niedrigere Strompreise, niedrigere CAPEX für die Wärmepumpen und höhere CO2-Preise. Aus heutiger Sicht haben sich die Randbedingungen natürlich dramatisch verändert, da die Entwicklung von Großwärmepumpen große Fortschritte gemacht hat, und die Kosten gegenüber dem Referenzszenario nicht mehr die einzige Dimension sind, die bei der Abkehr von fossilen Brennstoffen zu berücksichtigen ist. Dennoch enthält diese erste Fallstudie zur Umstellung eines deutschen Fernwärmenetzes viele nützliche Erkenntnisse und bildet die Grundlage für weitere Studien, unter anderem auch für die Folgenden.
In ihrer Studie Evaluation of Energy Transition Pathways to Phase out Coal for District Heating in Berlin. aus dem Jahr 2020 führten Gonzalez-Salazar et al. eine Bewertung von Transformationsplänen zum Ausstieg aus der Kohle für die Fernwärmeversorgung in Berlin durch. Ähnlich wie in der Herten-Studie wurden in dieser Analyse ein Wärmebedarfsmodell des Gebäudebestands verwendet und Zukunftsszenarien definiert, um die künftigen Wärmequellen für das Fernwärmenetz zu optimieren. Der Fall Berlin ist besonders interessant, da es sich um das größte Fernwärmenetz in Deutschland mit einer Länge von rund 2.000 km und einer jährlichen Wärmebereitstellung von über 10 TWh handelt.
Verschiedene Wärmequellen wie Biomasse, Müllverbrennung und Abwasser, Abwärme aus der Industrie, Solarthermie, Geothermie und noch Weitere wurden in dieser Studie berücksichtigt. Dabei wurde der schrittweise Ausstieg aus der kohlebefeuerten KWK bis 2030 als Ziel für den Transformationsplan definiert. Als Lösung wurde eine Kombination aus erneuerbaren Wärmequellen vorgeschlagen, jedoch wurde deren Potenzial zur Deckung des gesamten Wärmebedarfs des Netzes als begrenzt eingeschätzt. Um die Lücke zu schließen, wird in dem Artikel eine Kombination aus Erdgas, synthetisch hergestelltem Gas und Wasserstoff vorgeschlagen, der in KWK-Anlagen zusammen mit Power-to-Heat-Anlagen eingesetzt werden soll. Auch diese nur 2 Jahre alten Ergebnisse erscheinen heute bereits in einem anderen Licht und zeigen umso mehr, wie schnell sich die Energielandschaft verändert. Und auch wenn die Ergebnisse unter den heutigen Randbedingungen vielleicht anders ausgefallen wären, beschreibt auch dieses Paper, ähnlich wie die Herten-Studie, einen hilfreichen Ansatz zur Optimierung der Energiewende für ein großes Fernwärmenetz.
In ihrem Artikel Integrating deep, medium and shallow geothermal energy into district heating and cooling system as an energy transition approach for the Göttingen University Campus aus dem Jahr 2021 bewerteten Leiss et al. das Thema Integration von tiefer bis und oberflachennaher Geothermie in das Fernwärme- und Fernkältesystem als Energiewende-Ansatz für den Göttinger Universitätscampus. Im Vergleich zu Berlin ist das untersuchte Fernwärme- und Fernkältesystem für den Universitätscampus in Göttingen mit einer Netzlänge von rund 13 km und etwa 250 angeschlossenen Gebäuden deutlich kleiner. Dieses Netz wird derzeit von einem gasbefeuerten Blockheizkraftwerk versorgt. In dem Artikel wird untersucht, wie eine Kombination aus geothermischen Quellen den Übergang von fossilen Brennstoffen unterstützen kann.
Für diesen Übergang wird in dem Artikel vorgeschlagen, das Potenzial einer tiefen geothermischen Bohrung (3000 - 5000 m Tiefe) in Kombination mit einem mitteltiefen saisonalen geothermischen Speicher und oberflächennaher Geothermie sowie zusätzlichen Biomassekesseln zu untersuchen. Da insbesondere tiefe geothermische Ressourcen mit großen Unsicherheiten behaftet sind, enthält das Paper noch keine abschließende Bewertung des Transformationsplans. Aber es wird dafür plädiert, Göttingen als Demonstrationsstandort zu etablieren, um zu lernen, wie geothermisches Potenzial in weiten Teilen Europas erschlossen werden kann. Und es scheint, dass das Paper das Thema, Erdgas als Wärmequelle für ein Fernwärmenetz zu ersetzen, sehr kurz vor den aktuellen Debatten bereits vorweggenommen hat.
Noch aktueller ist eine Studie von Kleinertz et al. mit dem Titel Heat Transformation Munich – Analysis and Strategy Definition for a Systemic Cost-Optimal Heat Supply Transformation die sich noch im Preprint befindet, aber schon jetzt verfügbar ist. Ausgangspunkt für dieses Paper ist das Ziel der Stadt München, bis 2035 klimaneutral zu werden. Zur Bewertung von Transformationsplänen werden 2 Zukunftsszenarien mit einem Referenzszenario als Ausgangsbasis verglichen. Im gesamtstädtischen Kontext schlägt das Paper Gebäudesanierungen, Wärmepumpen und klimaneutrale Fernwärme als wichtigste technische Lösungen vor. Um die klimaneutrale Fernwärme zu erreichen, sieht die Studie einen breiten Mix von Wärmequellen vor, einschließlich einer Grundlast mit Müllverbrennung, einem hohen Anteil an Geothermie sowie kleineren Anteilen an Biomasse und Wasserstoff, um den heutigen hohen Anteil an Erdgas zu ersetzen.
Während der Artikel zeigt, dass viele der in den Szenarien enthaltenen notwendigen Maßnahmen tatsächlich Kosten einsparen, lautet die Hauptschlussfolgerung, dass Klimaneutralität nur erreicht werden kann, wenn CO2-Kompensationsmaßnahmen außerhalb Münchens zu zusätzlichen Kosten in die Bilanz aufgenommen werden. Doch obwohl der Artikel noch sehr neu ist und sich noch im Preprint befindet, können die veränderten Randbedingungen, insbesondere die Kosten für Erdgas im Referenzszenario und der deutliche Dekarbonisierungsschub der letzten Monate, die vorgeschlagenen Maßnahmen noch attraktiver machen.
Wir hoffen, dass diese 4 Beispiele illustrieren, wie sich verschiedene Forschungsteams die Dekarbonisierung von Fernwärmenetzen für verschiedene Städte in Deutschland vorstellen. Darüber hinaus sind wir der Meinung, dass all diese Beispiele zeigen, wie Veränderungen der Randbedingungen die grundsätzliche Sichtweise auf dieses Thema völlig verändern können. Nichtsdestotrotz stellen alle diese Studien wichtige Methoden und Erkenntnisse dar. Man darf gespannt sein, wie zukünftige Veröffentlichungen die neuen Herausforderungen bei der Dekarbonisierung von Fernwärmesystemen behandeln werden. Zusätzlich zu den oben genannten Beispielen enthielt auch bereits die allererste Ausgabe unseres Newsletters einen ausführlichen Überblick über das Potenzial für Abwärme und Solarthermie in Deutschland, das auch im Zusammenhang mit den 4 in diesem Newsletter vorgestellten Beiträgen sehr relevant ist.
Die nächste Ausgabe unseres Newsletters erscheint am 7. September.