niedrige Netztemperaturen sind das wichtigste Merkmal von Wärme- und Kältenetzen der 5. Generation. Trotzdem herrscht in vielen Fällen Unsicherheit, bei welchen Temperaturen ein konkretes Netz seine optimale Effizienz erreicht. Das liegt daran, dass die Netztemperatur die Effizienz des Netzes in mehrfacher Hinsicht beeinflusst und sich verschiedene Effekte überlagern. Dazu gehören die Wärmeverluste oder -gewinne des Netzes, die Effizienz der Wärmepumpen in den Gebäuden, die das Netz als Wärmequelle nutzen, und die Möglichkeit Niedertemperatur-Wärmequellen zur Einspeisung in das Netz zu nutzen. Und da solche Systeme noch komplexer werden, wenn Heiz- und Kühlbedarfe gleichzeitig gedeckt werden und sich die Fließrichtung in den Rohren dynamisch umkehren kann, ist nicht nur das Potenzial sondern auch die Herausforderung für eine ganzheitliche Optimierungen entsprechend höher. Deshalb sind wir auf gute Werkzeuge zur Optimierung des Netzbetriebs angewiesen.
Eine vielversprechende Möglichkeit, die Netztemperaturen in solchen modernen Netzen zu optimieren, zeigt der Artikel Temperature control in 5th generation district heating and cooling networks: An MILP-based operation optimization von Marco Wirtz et al. vom Lehrstuhl für Gebäude- und Raumklimatechnik an der RWTH Aachen University. An dieser Stelle möchten wir der Transparenz halber anfügen: heatbeat ist ein Spin-Off aus diesem Institut und Peter, der Geschäftsführer an unserem Aachener Standort, ist auch Mitautor dieses Artikels. Außerdem ist dieser Artikel ein Ergebnis unseres gemeinsamen Forschungsprojekts TransUrban.NRW, in dem wir weiterhin zusammenarbeiten. Wir sind aber der Ansicht, dass es sich um einen sehr interessanten Artikel mit hoher praktischer Relevanz für zukünftige 5GDHC-Netze handelt. Wir hoffen daher, dass der Artikel in dieser Newsletter-Ausgabe auch für Sie interessant ist (Und für weitere Informationen zum Thema Wärmenetze der 5. Generation empfehlen wir auch unsere Newsletter-Ausgaben 3 und 9).
Das Paper stellt ein mathematisches Modell zur Ermittlung der optimalen Netztemperatur für ein 5GDHC-Netz vor, das 17 Gebäude mit Wärme und Kälte versorgt. Als Erzeugungsanlagen dienen dabei eine Luftwärmepumpe und eine Kompressionskältemaschine, wobei der benötigte Strom zu einem Teil vor Ort durch Photovoltaik erzeugt wird und durch das Stromnetz unterstützt wird. Der Artikel zeigt, dass die optimalen Netztemperaturen für dieses System die Betriebskosten im Vergleich zu den beiden Referenzfällen mit konstanten Netztemperaturen und einem Netzbetrieb mit gleitenden Temperaturen senken. Zu den weiteren Erkenntnissen dieser Untersuchung gehört, dass das größte Potenzial für Kosteneinsparungen darin liegt, die Netztemperaturen so niedrig zu halten, dass eine direkte Kühlung ohne Einsatz von Kältemaschinen in den Gebäuden möglich ist. Wenn dies nicht möglich ist, hängt die optimale Netztemperatur stark vom Verhältnis zwischen Heiz- und Kühlbedarf ab. Gleichzeitig wird der Schluss gezogen, dass Wärmeverluste (oder -gewinne) nur einen überschaubaren Einfluss auf die optimalen Netztemperaturen haben.
Um die Forschungsergebnisse einzuordnen, ist es wichtig, den Aufbau des Systems und die getroffenen Annahmen des Artikels kurz zusammenzufassen. Als Anwendungsfall für die vorgestellten Optimierungsmethoden geht der Artikel von einem 5GDHC-Netz aus, das einen Universitätscampus mit 17 Gebäuden mit Wärme und Kälte versorgt (zur laufenden Diskussion über die Begriffe 4GDH und 5GDHC siehe unsere Newsletter-Ausgabe 9). Ein wichtiges Merkmal dieses Quartiers ist, dass es nicht nur Büros, Labore und eine Mensa umfasst, sondern auch zwei Rechenzentren, die auch im Winter einen Grundlast-Kältebedarf haben. Zusammen mit dem Wärmebedarf im Sommer für die Bereitung von Trinkwarmwasser ergibt sich eine Bedarfsstruktur, bei der sich Wärme- und Kältebedarf im gesamten Jahresverlauf überlappen, was im Allgemeinen eine günstige Voraussetzung für ein bidirektionales 5GDHC-Netz darstellt.
Bei den Netztemperaturen geht der Artikel von einem möglichen Temperaturbereich zwischen 6 und 40 °C aus. Außerdem wird die Differenz zwischen dem warmen und dem kalten Leiter im Netz mit konstant 8 K angenommen. Um sicherzustellen, dass die Gebäude ihren Wärmebedarf auf dem vom Heizungssystem geforderten Temperaturniveau von 60 °C decken können, verwendet jedes Gebäude eine in seine Übergabestation integrierte Wärmepumpe, die Niedertemperaturwärme aus dem Netz bezieht und die Nutztemperatur anhebt. Für die Kühlung betrachtet das Paper sowohl den Fall, dass direkt über einen Wärmeübertrager gekühlt werden kann, wenn die Netztemperaturen ausreichend niedrig sind, als auch den Fall, dass das Gebäude eine Kältemaschine einsetzt, die das Netz als Wärmesenke nutzt. Da die Bedarfsstruktur eine hohe Gleichzeitigkeit von Heiz- und Kühlbedarf im Netz aufweist, kann die Abwärme aus der Kühlung eines Gebäudes als Wärmequelle für die Wärmepumpe eines anderen Gebäudes genutzt werden, wodurch die Gesamtwärmeinspeisung in das Netz verringert wird.
Auf der Erzeugungsseite wird davon ausgegangen, dass das Netz mit Wärme aus einer zentralen Luftwärmepumpe versorgt werden kann, während zur Kühlung die überschüssige Wärme durch eine Kompressionskältemaschine abgeführt wird. Diese beiden Erzeuger speisen in einen zentralen thermischen Speicher ein. Dabei ist die warme Leitung des bidirektionalen Netzes an den oberen Teil des Speichers und die kalte Leitung an den unteren Teil angeschlossen. Der Speicher kann damit als passiver Puffer wirken, wenn das Netz insgesamt nach lokalen Ausgleichseffekten zwischen Heiz- und Kühlbetrieb wechselt. Da beide Erzeuger auf Strombezug angewiesen sind, berücksichtigt das Paper in der Optimierung auch die lokale PV-Erzeugung und den Anschluss an das Stromnetz, um zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Systemeffizienz zu gelangen. Wir sind der Meinung, dass diese ganzheitliche Sichtweise, zusammen mit der Modellierung der thermischen Trägheit von Speichern und Netz, eine besondere Stärke dieser Arbeit ist. So können bei der Optimierung komplexe Wechselwirkungen berücksichtigt werden wenn zum Beispiel die Einspeisung der zentralen Wärmepumpe durch ein Anheben der Netztemperatur verstärkt dann erfolgt, wenn die lokale PV-Erzeugung billigen Strom anbietet, oder ein Absenken der Netztemperaturen die Einspeisung verzögert, falls der Strom gerade teuer bezogen werden müsste.
Um die Optimierung der Netztemperatur zu demonstrieren, werden im Artikel die Ergebnisse für 3 repräsentative Monate dargestellt: Januar als Referenzzeitraum, in dem die Gebäude hauptsächlich Wärme aus dem Netz benötigen. Juli als Zeitraum, in dem das Netz die Gebäude hauptsächlich kühlt und die überschüssige Wärme abführt. Und März als Übergangszeitraum, in dem die Gebäude in sowohl mit Wärme und als auch mit Kälte versorgt werden und so ein hohes Potenzial für Ausgleichseffekte und Synergien im bidirektionalen Netz besteht.
Um die Optimierung der Netztemperatur zu bewerten, werden die berechneten Betriebskosten mit 2 Referenzfällen verglichen. Der erste Benchmark ist dabei die einfachste Betriebsstrategie mit konstanten Netztemperaturen. Für diesen Fall werden konstante Temperaturen von 6 °C in der kalten Lleitung und 14 °C in der warmen Leitung sowie die Kombinationen 14 °C/22 °C und 22 °C/30 °C berücksichtigt. Als zweiter Benchmark wird eine gleitende Netztemperatur innerhalb der Grenzen von 6 °C und 40 °C angenommen. Das bedeutet, dass die zentrale Erzeugung dem Netz nur dann Wärme zuführt, wenn die Mindesttemperatur von 6 °C unterschritten wird, und dass überschüssige Wärme abgeführt wird, um das Netz unter der Höchsttemperatur von 40 °C zu halten. Dazwischen gleitet die Netztemperatur passiv als Ergebnis der von den Gebäuden entnommenen oder abgeführten Wärmemengen.
Als Ergebnis der Optimierung wird gezeigt, dass die implementierte Optimierung für die meisten Referenzmonate Verbesserungen gegenüber beiden Benchmarks erzielt, während sie nie schlechter abschneidet als die Benchmarks. Im Allgemeinen scheinen die Ergebnisse darauf hinzudeuten, dass die durch die Optimierung erzielten Kosteneinsparungen am größten sind, wenn das Netz nicht nur Wärme, sondern auch Kälte für die Gebäude bereitstellt. Für das Szenario mit Wärmeübertrager zur direkten Kühlung der Gebäude wählt die Optimierung immer Netztemperaturen unter 14 °C, so dass eine direkte Kühlung möglich ist und kein zusätzlicher Strom für den Betrieb der Kältemaschinen in den Gebäuden benötigt wird. Ist dies nicht möglich, wählt die Optimierung niedrige Netztemperaturen im Winter und hohe Netztemperaturen im Sommer. Die hohen Netztemperaturen im Sommer haben dabei den zusätzlichen Vorteil, dass Wärme-"Verluste" aus dem Netz an das umgebende Erdreich eigentlich "Gewinne" an Kühlpotenzial darstellen, wodurch weniger überschüssige Wärme in der zentralen Kältemaschine aktiv abgeführt werden muss.
Wir sind der Meinung, dass dieser Artikel nicht nur gute Ideen und vielversprechende Methoden zur Optimierung der Netztemperaturen in 5GDHC-Netzen aufzeigt. Die Ergebnisse zeigen auch, dass solche Netze im Allgemeinen erheblich von einer Anpassung der Netztemperatur im Jahresverlauf profitieren können. Die optimalen Temperaturen scheinen dabei in hohem Maße von den installierten Systemkomponenten sowie von der Nachfragestruktur in den Gebäuden abzuhängen. Während der Beitrag einen echtzeitfähigen Ansatz zur Optimierung der Netztemperaturen in einer modellprädiktiven Regelungung zeigt, denken wir, dass diese und ähnliche Methoden auch dazu verwendet werden können, um sinnvolle Bereiche für die Netztemperaturen mit variierenden Sollwerten im Jahresverlauf bereits in frühen Planungsphasen zu definieren und damit den Planungsprozess zu unterstützen. Wir freuen uns darauf, solche Ideen in unserem laufenden Forschungsprojekt TransUrban.NRW weiter zu erforschen, und dabei auch mit dem Forschungsteam dieses Artikels weiter zusammen zu arbeiten.
Für weitere Informationen über das Forschungsprojekt TransUrban.NRW empfehlen wir den Besuch der offiziellen Projekt-Website. Darüber hinaus haben wir diese Arbeit als ein aktuelles und relevantes Beispiel für die Arbeiten rund um die Optimierung von 5GDHC-Netzen ausgewählt. Wir empfehlen aber auch andere aktuelle Arbeiten von Marco und seinen Mitautor*Innen, z.B. Quantifying Demand Balancing in Bidirectional Low Temperature Networks und A novel design approach based on mathematical optimization for 5GDHC.
Die nächste Ausgabe unseres Newsletters erscheint am 5. Januar 2022. Bis dahin wünschen wir Ihnen schon jetzt frohe Festtage und einen guten Rutsch ins Jahr 2022, und danken Ihnen für Ihr Interesse an unserem Newsletter!
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