in unseren District Heating Research Trends haben wir kurz das Thema Machine Learning (ML) und Künstliche Intelligenz im Bereich der Fernwärme angesprochen. In dieser Ausgabe unseres Newsletters möchten wir uns tiefer mit diesem Thema befassen, um die Potentiale und Herausforderungen von ML-Anwendungen im Fernwärmebereich besser zu verstehen. Wir finden dieses Thema besonders interessant, da ML bereits einen großen Einfluss auf viele andere Bereiche hat und es viele Forschungsarbeiten auch im Bereich der Fernwärme gibt, die Anwendungen in der Praxis aber noch überschaubar sind.
In diesem Zusammenhang bietet das Paper Opportunities for Machine Learning in District Heating von Gideon Mbiydzenyuy et al. viele nützliche Einblicke in den aktuellen Stand der Forschung zum Thema ML im Fernwärmesektor ebenso wie zur Praxisrelevanz dieser Arbeiten. Darüber hinaus zeigt der Artikel zukünftige Ziele für ML-Anwendungen in der Fernwärme auf, analysiert die Hürden auf dem Weg zu diesen Zielen und macht Vorschläge, wie diese Hindernisse überwunden werden könnten.
Als Hintergrund für die Anwendung neuartiger Technologien wie ML beschreibt das Forschungsteam mehrere grundlegende Veränderungen im Bereich der Fernwärme. Diese grundlegenden Veränderungen bringen zum einen Unsicherheit und Herausforderungen für die Branche, aber zum anderen auch Chancen und die Motivation zur Entwicklung und Anwendung von Innovationen auf diesem Gebiet. Diese grundlegenden Veränderungen beinhalten:
Im Allgemeinen argumentiert das Paper, dass diese Veränderungen entlang der gesamten Fernwärme-Wertschöpfungskette, von der Erzeugung, über die Verteilung und Wärmeübergabe bis zum Wärmeverbrauch im Gebäude, einen wachsenden Druck zur Vermeidung von Ineffizienz erzeugen. Dabei werden mehrere Herausforderungen entlang dieser Wertschöpfungskette bei der Steigerung der Systemeffizienz genannt. Dazu gehören die Netzeinspeisung mit der Einsatzplanung verschiedener Wärmeerzeuger und der zeitlichen Regelung von Vorlauftemperature und Druck über die Überwachung der Verteilung und Einspeisung bis hin zur Regelung der Übergabestationen und des Verbrauchs im Heizungssystem der Gebäude. Dies eröffnet viele Anwendungsmöglichkeiten für Machine Learning, um den Systembetrieb zu verbessern.
Vor diesem Hintergrund beschreibt das Paper den Stand der Forschungzu ML-Anwendungen im Bereich der Fernwärme. Dabei wurden 179 Veröffentlichungen berücksichtigt, die im Zeitraum zwischen 2010 und 2021 veröffentlicht wurden. In diesem Zeitraum zeigt das Forschungsteam eine deutliche Zunahme von Forschungsarbeiten zum Thema Machine Learning im Bereich der Fernwärme. Interessanterweise zeigen sie auch, dass sich 72 % aller Arbeiten, die eine konkrete ML-Anwendung für Fernwärme beschreiben, auf ein gemeinsames Thema beschränken: die Prognose des Wärmebedarfs im Netz. Und weil dieser Bereich bereits von anderen Reviews abgedeckt wurde und das Ziel des ausgewählten Papers darin besteht, die Bandbreite potenzieller ML-Anwendungen besser aufzuzeigen, legt das Forschungsteam ihren Fokus mehr auf einen Überblick über andere ML-Anwendungen.
Zu diesen weiteren Anwendungen gehört als am zweithäufigsten erforschtes Thema die Anomalie- und Fehlererkennung, wobei einzelne Arbeiten verschiedene Aspekte entlang der Fernwärme-Wertschöpfungskette abdecken. Dies kann von der Leckageerkennung für das Rohrnetz bis zur Erkennung von fehlerhaftem Verhalten in Übergabestationen reichen. Eine weitere Anwendung für ML besteht darüber hinaus darin, verschiedene Kunden nach Verbrauchsmustern zu clustern. Dies kann dabei helfen, ihren Wärmeverbrauch sowie ihre Verbrauchsmuster zeitlich aufgelöst besser zu verstehen. Weitere interessante Anwendungen sind die Regelung von Heizzyklen für die Warmwasserbereitung oder die Bewertung des Zustands von Ventilen im Netzwerk durch Analyse der abgegebenen Geräusche.
In Bezug auf das am meisten untersuchte Thema der Bedarfsprognose betont der Artikel den Wert solcher Prognosen, z.B. zur Planung der Wärmeerzeugung. Der Artikel betont jedoch auch die Unterscheidung zwischen der Analyse der Daten und der Regelung des Systems. Dabei argumentiert das Paper, dass für einen großen Einfluss auf das tatsächliche System und zur Hebung des vollen Potentials von ML die direkte Regelung des Systems eine erhebliche Herausforderung bleibt. Darüber hinaus betont das Paper aus praktischer Sicht, dass sich die Bedarfsprognose für eine größere praktische Relevanz nicht nur auf genaue Ergebnisse konzentrieren sollte, sondern auch die Asymmetrie zwischen einer zu hohen Vorhersage (die "nur" zu einer Ineffizienz führt) und einer zu niedrigen Vorhersage (die zu einer inakzeptablen Unterversorgung führen würde) berücksichtigen sollte.
Basierend auf diesem Überblick über den aktuellen Stand der ML-Forschung für Fernwärme identifiziert das Paper 10 Ziele für zukünftige Anwendungen. Diese reichen von skalierbaren Lösungen für sehr große Netze über standardisierte Datenprotokolle, Daten-Benchmark-Sets bis hin zu automatisiertem Monitoring und Predictive Maintenance. Zusammen bilden sie eine nützlichen Orientierung für zukünftige ML-Anwendungen mit dem Ziel, auf eine detaillierte Optimierung des Fernwärmebetriebs entlang der gesamten Wertschöpfungskette hinzuarbeiten.
Als Hindernisse auf dem Weg zum Erreichen dieser Ziele nennt das Paper unter anderem technische Hindernisse wie die begrenzte Verfügbarkeit von Daten und deren Qualität, wirtschaftliche Hindernisse wie fehlende Anreize für Kunden die ML-basierten Anwendungen zu nutzen, fehlende Bereitschaft der Industrie zur Umsetzung von Innovationen und organisatorische Hürden wie die Liefergrenze, welche die Betreiber eines Netzes derzeit oft vom Betrieb der Übergabestationen abschneidet.
Um diese Hürden zu überwinden, zeigt das Forschungsteam mehrere mögliche Lösungen auf. Dazu gehört eine bessere Kommunikation zwischen Forschenden und der Fernwärmebranche, um die tatsächlichen Herausforderungen der realen Welt besser zu verstehen, die Potenziale zu bewerten und neue Lösungen zu finden. Darüber hinaus bietet die Digitalisierung der Fernwärme einen Weg zur Überwindung einiger Barrieren, sie erfordert jedoch auch ein gutes Verständnis ihrer Herausforderungen und Potenziale. Und nicht zuletzt schlägt das Paper einen interdisziplinären Ansatz vor, um diese komplexen Herausforderungen anzugehen.
Das Paper ist unter https://doi.org/10.3390/app11136112 frei verfügbar und können es voll empfehlen, da es viele weitere interessante Aspekte enthält, welche wir in dieser Newsletter-Ausgabe nicht behandeln konnten. Darüber hinaus erwähnt das Paper das Dokument (Digital road-map for district heating and cooling) das eine interessante ergänzende Lektüre zur Digitalisierung des DHC-Sektors darstellt.
Die nächste Ausgabe unseres Newsletters erscheint am 6. Juli.
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