aktuell werden für bestehende und neue Wärme- und Kältenetze neue und innovative Konzepte entwickelt, um einen möglichst hohen Anteil regenerativer Energiequellen oder Abwärme in thermische Netze zu integrieren. Dabei fällt auf, dass oft ähnliche oder sogar identische Konzepte unterschiedlich benannt werden und immer wieder neue Begriffe auftauchen. Sehr häufig verwendete Begriffe sind „4. Generation Wärmenetze“ bzw. „5. Generation Wärme- und Kältenetze“.
Aber was sind genau die Unterschiede zwischen der 4. und 5. Generationen? Wie können Konzepte und zukünftige Entwicklungen einheitlich charakterisiert werden? Genau diese Fragestellungen diskutieren M. Sulzer et al. und H. Lund et al. in kürzlich erschienenen Fachbeiträgen, welche wir in unserem neunten heatbeat Research Newsletter gerne vorstellen möchten.
Diesmal stellen wir zwei Artikel vor:
Wärmenetze werden in unterschiedliche Generation eingeteilt. Bisher existierten in der Literatur die Generationen 1 – 4. In neuen Veröffentlichungen taucht immer wieder der Begriff „5. Generation Wärme- und Kältenetze“ auf.
Die vorgestellten Artikel diskutieren die Einordnung neuer Konzepte in die 4. und 5. Generation von Wärmenetzen. Beide Autoren kommen zu dem Schluss, dass der Begriff „5. Generation Wärme- und Kältenetze“ irreführend sein kann, da nach der gängigen Definition die Voraussetzungen für eine neue Generation nicht erfüllt sind. Darüber hinaus gibt es im Gegensatz zu „4. Generation Wärmenetze“ bisher keine einheitliche Definition.
Sulzer et al. argumentieren, dass es keine Änderungen in den Zielstellungen (Dekarbonisierung der Wärme) gegenüber der 4. Generation gibt und neue Technologien unter dem Namen „4. Generation Wärme- und Kältenetze“ entwickelt werden sollten.
Lund et al. hingegen verdeutlichen den Vorteil, dass der Begriff „5. Generation Wärme- und Kältenetze“ bereits in vielen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und Projekten etabliert wurde. So kann eine höhere Aufmerksamkeit, insbesondere in Ländern mit geringer Marktdurchdringung von Wärmenetzen, erreicht werden. Lund et al. bezeichnen die 5. Generation Wärme- und Kältenetze aber als eine parallele Entwicklung.
Beide Veröffentlichungen eröffnen die wichtige Diskussion, wie neue Konzepte und Technologien für thermische Netze einheitlich charakterisiert und benannt werden können. Dies ist für ein gemeinsames Verständnis von neuen Technologien und der Weiterentwicklung von thermischen Netzen ein entscheidender Schritt.
Um die Ziele der Dekarbonisierung der Wärme- und Kälteversorgung zu erreichen, werden aktuell eine Vielzahl von neuen Technologien und Konzepten für thermische Netze entwickelt. Diesen Trend haben wir bereits in einer Querauswertung der wissenschaftlichen Veröffentlichungen zum Thema Wärmenetze in der 6. Ausgabe unseres Newsletters im April (https://heatbeat.de/newsletter/6/) gezeigt.
Diese breite Entwicklung ist notwendig, um den unterschiedlichen lokalen Anforderungen gerecht zu werden und die lokalen Gegebenheiten optimal zu nutzen. In der Literatur tauchen zusätzlich zu neuen Technologien, viele neue Bezeichnungen auf. Ein sehr häufig verwendeter Term ist „5. Generation Wärme- und Kältenetze“. Die Artikel Vocabulary for the fourth generation of district heating and cooling von Matthias Sulzer et al. (EMPA – Swiss Federal Laboratories for Materials Science and Technology, Switzerland) und Perspectives on fourth and fifth generation district heating von Henrik Lund et al. (Department of Planning, Aalborg University, Denmark) adressieren das Thema und diskutieren die Bezeichnung von unterschiedlichen Konzepten für thermische Netze.
Wärmenetze werden historisch in unterschiedliche Generationen (1. – 3. Generation) eingeteilt. Die Anforderungen an eine neue Generation beschreiben Lund et al. so:
Um eine Einordnung in unterschiedliche Generationen vorzunehmen, muss zuerst betrachtet werden, wie die Begriffe „4. Generation Wärmenetze“ und „5. Generation Wärme- und Kältenetze“ in der Literatur definiert werden und welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um eine Technologie in eine Generation einzuordnen.
Lund et al. fassen die wesentlichen Eigenschaften der „4. Generation Wärmenetze“ (4GDH) zusammen. Im Gegensatz zu den Generationen 1 – 3 setzen sich 4GDH das Ziel die Temperatur im System so nah wie möglich an den Temperaturanforderungen des Endnutzers zu halten. Dabei soll die maximale Temperatur 60 – 70 °C nicht überschreiten. Es existieren bereits Netze, welche mit Temperaturen unter 45 °C arbeiten. Dies fördert nicht nur die Einbindung von erneuerbaren Energiequellen (z. B. Solarthermie) und Abwärme („heat recycling“) in das System, sondern ermöglicht auch die effizientere Nutzung von Wärmepumpen und Blockheizkraftwerken. Für „Wärmenetze der 4. Generation“ gilt außerdem, dass die Effizienzsteigerung auch durch die Kopplung von Sektoren erreicht werden kann. So können zum Beispiel Wärme- und Kältenetze mittels einer Wärmepumpe gekoppelt und mit Speichern kombiniert werden. Auch können im Gegensatz zu vorherigen Generationen Gebäude im Netz Energie beziehen, während andere Gebäude Wärme einspeisen. Sulzer et al. diskutieren diesen Umstand in einem eigenen Absatz und zeigen auf, dass die Begriffe „Erzeuger“ und „Konsument“ in neuen Konzepten nicht immer eindeutig zugewiesen werden können. Neben den technischen Aspekten listen Lund et al. die Möglichkeit sich an neue „Smart Energy Systems“ durch entsprechende Planungs-, Kosten- und Anreizstrukturen anzupassen.
Wie im vorherigen Abschnitt gezeigt, werden 4GDH nicht nur allein anhand ihres Temperaturniveaus charakterisiert, sondern besitzen eine Vielzahl von Eigenschaften, die sie gegenüber der „3. Generation Wärmenetze“ auszeichnet. Diese Definitionen sind etabliert und anerkannt. Auch Sulzer et al. nutzen identische Definitionen für „4. Generation Wärmenetze“. Sulzer et al. und Lund et al. stellen insbesondere das übergeordnete Ziel der Substitution von fossilen Energieträgern bzw. die Dekarbonisierung der Wärmeversorgung als eine wesentliche Eigenschaft von 4GDH an.
Beide Autoren zeigen auf, dass im Gegensatz zu 4GDH noch keine einheitliche Definition des Begriffs „5. Generation Wärme- und Kältenetze“ (5GDHC) existiert. Beide Veröffentlichungen erkennen an, dass der kleinste gemeinsame Nenner für die Bezeichnung „Wärmenetze der 5. Generation“ die gleichzeitige Nutzung von Wärme- und Kälte mittels einer Infrastruktur darstellt. Dazu sind sehr niedrige Netztemperaturen notwendig, welche in den Gebäuden mittels hausnaher Wärmepumpen auf das benötigte Temperaturniveau gehoben (Heizfall) bzw. bei Bedarf zusätzlich abgesenkt (Kühlfall) werden (siehe auch heatbeat Reasearch Newsletter Ausgabe 3 – Januar: https://heatbeat.de/newsletter/3/).
Sulzer et al. führen mehrere Quellen an, welche die Einordnung der thermischen Netze in 5GDHC auf Basis der Netztemperatur vornehmen. Neben den Synergien zwischen Heizen und Kühlen, sowie der Netztemperatur identifizieren Lund et al. die Einbindung kostengünstiger Wärmequellen auf niedrigem Temperaturniveau und die Möglichkeit das Netz flexibel zu erweitern, da eine zentrale Versorgung nicht länger entscheidend ist als weitere wesentliche neue Ideen der „5. Generation Wärme- und Kältenetze“.
Aber lassen sich diese Neuentwicklungen wirklich in eine neue Generation einordnen, was auch bedeuten würde, dass die vierte Generation in absehbarer Zeit abgelöst wird? Sowohl Lund et al. als auch Sulzer et al. kommen zu dem Schluss, dass die Bezeichnung „5. Generation Wärme- und Kältenetze“ nicht in die bestehende Systematik unterschiedlicher Generationen von Wärmenetzen passt. Insbesondere die (in Bezug aufs Heizen) nicht gegebene signifikante Effizienzsteigerung (Lund et al.) sowie das gemeinsame übergeordnete Ziel der Dekarbonisierung (Sulzer et al.) sprechen gegen die Einführung einer neuen Generation.
Sulzer et al. argumentieren mit ihrer Veröffentlichung vor allem für die Etablierung eines gemeinsamen Vokabulars für Wärmenetze. Sie schlagen vor, neue Entwicklungen unter den Bezeichnungen „4. Generation Wärmenetze“ und „4. Generation Wärme- und Kältenetze“ voranzutreiben. Eine neue Generation ist laut Sulzer et al. erst dann gegeben, wenn sich die übergeordneten Ziele für die Entwicklung neuer Technologien und Konzepte ändern. Lund et al. sehen in der Bezeichnung „5. Generation Wärme- und Kältenetze“ jedoch eine Chance, die Bemühungen für Forschung und Entwicklung neuer Konzepte, insbesondere in solchen Ländern, in denen es bisher wenige Wärmenetze gibt, zu erhöhen. Sie unterstreichen jedoch, dass die „5. Generation Wärme- und Kältenetze“ keine sequenzielle Entwicklung zu der „4. Generation Wärmenetze“ ist, vielmehr ist es eine parallele Entwicklung und wird 4GDH nie ablösen.
Beide vorgestellten Artikel liefern gute Argumente für oder gegen die Verwendung des Begriffs „5. Generation von Wärme- und Kältenetzen“. Somit eröffnen die Artikel die wichtige Diskussion, wie neue Konzepte und Technologien für thermische Netze einheitlich charakterisiert und benannt werden können. Dies ist für ein gemeinsames Verständnis von neuen Technologien und der Weiterentwicklung von thermischen Netzen ein entscheidender Schritt. Auch bei heatbeat führen die Bezeichnungen unterschiedlicher Technologien intern und extern immer wieder zu Diskussionen. Deshalb begrüßen wir die internationalen Anstrengungen ein einheitliches Verständnis und einheitliche Bezeichnungen zu entwickeln sehr.
Wie die Autoren sind auch wir davon überzeugt, dass vielfältige und kreative Konzepte für thermische Netze zur Erreichung der Klimaziele notwendig sind. Jedoch merken wir auch, dass die Vielfalt neuer Konzepte und deren Bezeichnungen oft eine Herausforderung darstellt. Wir unterstützen Sie gerne, die für ihr Projekt beste Energiesystemlösung zu entwickeln und zu planen. Sprechen Sie uns an!
Der Artikel von Sulzer et al. ist unter https://doi.org/10.1016/j.segy.2021.100003 frei verfügbar. Ebenfalls kostenfrei kann der Artikel von Lund et al. unter https://doi.org/10.1016/j.energy.2021.120520 bezogen werden. Wir möchten an dieser Stelle die vollständige Lektüre beider Artikel empfehlen.
M. Sulzer et al. führen zusätzlich zu der Definition von unterschiedlichen Generationen mehrere Beispiele von häufig verwendeten aber nicht einheitlich definierten Begriffen im Zusammenhang mit neuen Wärmenetzkonzepten an. Sie demonstrieren so die Notwendigkeit eines einheitlichen Vokabulars für thermische Netze. Lund et al. zeigen anhand von mehreren Literaturbeispielen die mehrdeutige Definition von „5. Generation Wärme- und Kältenetze“ auf und unterstützen damit die Forderung einer einheitlichen Definition.
Die nächste Ausgabe unseres Newsletters wird am 4. August 2021 erscheinen.
© heatbeat engineering GmbH & heatbeat nrw GmbH 2017-